Die Teenager-Tochter hat vor wenigen Wochen ihren 16. Geburtstag gefeiert! Und WOW, damit ist sie ganz plötzlich, auf einmal und ohne Vorankündigung eine junge Frau! Wie und wann ist das passiert? Wir sind nun also zwei Frauen unter einem Dach – eine alte (ich!) und eine junge (die Teenager-Tochter). Erst jetzt wird mir bewusst, dass für mich, das nicht-mehr- Kindsein irgendwie schlagartig mit 16 beginnt. 13, 14, 15… alles irgendwie ein Zwischen-Zustand, der mir ermöglicht hat, die Teenager-Tochter weiterhin zum Kind zu machen. Und nun mit 16 – zack, verändert sich meine Wahrnehmung und vor mir steht plötzlich eine junge Frau, die größer ist als ich und sich das Erwachsenen-Leben erobert.
Diese junge-Frau-Tochter-Sache löst eine Flut an Gedanken in mir aus: Hat die Wildsche-Tochter bereits eine Idee davon in sich, wie wertvoll und liebenswert sie ist? Kann sie spüren, wer und was ihr gut tut und vertraut sie sich selbst schon genug, um ihrem Gefühl zu trauen? Entdeckt die Wildsche-Tochter wofür ihr Herz brennt und erlaubt sie sich auch, dies zu leben? Hat sie alles in sich was sie braucht, um das Leben mit allem schönen und allem herausfordernden lieben zu können? Und: Wird sie gnädig und geduldig mit sich und ihren vermeintlichen Schwächen und Fehlern umgehen können?
Der Alltag mit den jungen Wilden ist eine echt abenteuerliche Erfahrung und ich finde ja, nichts – wirklich nichts – kann einen angemessen darauf vorbereiten. Das was einem da tagtäglich an Lebenswelt und Gefühlen entgegen kommt ist (oft) eine Grenzerfahrung. Die Intensität und Absolutheit mit der die jungen Wilden Gefühlszustände ausleben , aber auch die unumstößliche Überzeugung mit der sie zu wissen glauben, wie das Leben und die Liebe (besser) gehen, hinterlassen mich (immer mal wieder) sprachlos. Ein sehr kompetenter Kinder- und Jugendpsychiatrie – Kollege meinte vor kurzem dazu: „Katjenka, dass muss so sein!“ Mit geübter Hand malte er dann, gut erkennbar auf die Flipchart, die Umrisse eines jugendlichen Gehirns, das sich – so der Kollege – im Alter zwischen 12 – 25 Jahren komplett saniere. Einmal angefangen erklärt mir der Fachmann, dass die gigantisch freigesetzte Menge an Hormonen vor allem das Limbische System beeinflusse. Dies liegt im Gehirn ungefähr mittig (ihr werdet noch erfahren, dass die Lage von entscheidender Bedeutung ist) und der Grund sei, weshalb Jugendliche so gefühlsbetont und -gesteuert sind. Auch die starke Orientierung auf Attraktivität, Sexualität und das soziale Umfeld sowie die deutlich gesteigerte Risikobereitschaft und das stark verminderte Vorausschauen lassen sich dadurch anschaulich nachvollziehen. Also so der Kollege: Alles ganz natürlich und logisch. Ja, denke ich mir: Alles schon mal gehört – gelesen und klingt auch irgendwie beruhigend – aber so in real life fühlt sich das echt nicht (immer) gut an! Zwischenzeitlich befinden sich auf der jugendlichen-Gehirn-Skizze jede Menge Pfeile und mit grüner und blauer Eddingfarbe straffiert-gekennzeichnete Gehirnareale, die mir zeigen wie der Umbau vom Kindgehirn in ein erwachsenes – vernünftiges und in sich ruhendes Gehirn – von statten geht. Zu meinem großen Bedauern schließt der Kinder-und Jugendpsychiater mit der Tatsache, dass der Zipfel ganz vorn in unserem Gehirn, der für die Voraussicht und das Abwägen von Risiken zuständig ist, die allerletzte Sanierungsstation ist, da sich das Gehirn von hinten nach vorne umbaut. What? Das ist aber ungünstig! Da hat die Natur aber nicht gut mitgedacht. Da ich das nicht nur gedacht, sondern auch laut gesagt habe, erfahre ich nun auch noch den guten Grund der Natur in dieser Reihenfolge den Umbau abzuwickeln: Die Evolution findet es ganz einfach notwendiger, dass junge Menschen früher ein Interesse an Fortpflanzung entwickeln, als an Risikominimierung! So einfach ist das.
Die kundige Lernstunde des Kollegen hat mir ein Geschenk gemacht: Ich trage nun das Mantra „Katjenka, dass muss so sein!“ in mir (und glaubt mir, ich fühle es!) und ein intensiveres Verständnis und ein liebevollerer Blick auf die Gefühls- und Lebenswelt der Teenager-Tochter. Vielleicht steckt viel mehr drin in dieser Umbau-Sache als nur durchhalten… Vielleicht birgt es die Chance, die junge-Frau in meiner Teenager-Tochter beim Werden zu begleiten.
Mein Dank gilt dem Skizzen-talentierten und verständnisvollen Kollegen (bei Gelegenheit werde ich ihn fragen, ob er Kinder hat 🙂 ).
© Katjenka Wild