Sie sind eine viel übersehene und (immer noch) unterschätze „Kraft“ in uns – die eigenen Bedürfnisse. Dabei sind sie der Nährboden, die Wurzel und der Antrieb für unser Denken, Fühlen und Verhalten. Von ihrer Erfüllung oder auch „nicht-Erfüllung“ hängt ab, ob wir (sogenannte) angenehme oder unangenehme Gefühle empfinden und unser Umgang mit diesen.
Grundgelegt haben wir alle die gleichen Bedürfnisse in uns. Sie lassen sich in sechs Bereichen oder -von mir liebevoll „Bedürfnistöpfen“ genannt- beschreiben:
Das Bedürfnis
nach Autonomie/ Selbstbestimmung
nach körperlichem Wohlbefinden
nach Bindung
nach Anerkennung/ Selbstwert
nach Identität
nach Spiritualität/ Sinn
Jeder von uns hat all diese Bedürfnisse in sich. Wir unterscheiden uns jedoch darin, wie gut gefüllt die einzelnen „Töpfe“ sein müssen, damit wir das Bedürfnis als „erfüllt“ wahrnehmen. Ob wir einen randvoll gefüllten Topf benötigen oder uns ein, gerade mal bedeckter Topfboden schon ausreicht, hängt davon ab, welche Erfahrungen wir in unserem Leben gemacht haben. Sie prägen und bestimmen das individuelle Maß, dass notwendig ist für unsere Bedürfnis-Versorgung. Auch deshalb sind wir Menschen so bunt und verschieden: Manche von uns haben gern viele Menschen um sich, andere stehen gerne „vorne“, wieder andere pflegen ihre Freiheit und Unabhängigkeit, und einige von uns haben eine tiefe Sehnsucht und Nähe zu etwas Göttlichem. Wir haben nicht alle das gleiche Bedürfnis nach Nähe, Unabhängigkeit oder Anerkennung. Es gibt kein Maß, das richtig wäre oder sein muss. Bedürfnisse sind so individuell wie unsere Lebenserfahrungen.
Diese Bedürfnisse zu füllen, ist die Aufgabe jedes einzelnen von uns. Wir sind (hoffentlich) Bedürfnis-Selbstversorger. Wenn wir uns ungeliebt, klein oder unsicher fühlen, können wir uns die Frage nach dem Bedürfnis dahinter stellen. Welches Bedürfnis ist nicht erfüllt, wenn ich mich allein gelassen oder unverstanden fühle? Vielleicht habe ich das Bedürfnis „gesehen“, wahrgenommen und ernstgenommen zu werden… Und wie kann ich mir selbst, dass „gesehen werden“ geben? Was kann ich tun, um mich ernstzunehmen?
Die eigne Bedürfnis-Versorgung sollte nicht durch andere Menschen erfolgen. Mein Gegenüber muss mich nicht lieben, damit ich mich als liebenswert erlebe. Und nicht erst das Ernstnehmen meiner Person und Meinung durch ein Gegenüber, macht mich „sichtbar“. Wir haben alles in uns, um unsere Bedürfnistöpfe selbst zu füllen. Wenn unsere Töpfe dann auch noch Inhalt durch andere und außen erhalten, ist das ein Bonus und ein Geschenk.
Bedürfnisse verändern sich jedoch im Laufe unseres Lebens durch Erfahrungen, Krisen und veränderte Lebenssituationen. Da kann es passieren, dass bisher prall gefüllte Töpfe fast geleert werden (müssen), und die Sehnsucht immer drängender wird, einen fast leeren Topf, zu befüllen. Vielen Menschen macht es Angst, wenn sie andere, neue Bedürfnis-Gewichtungen in sich spüren. Verständlich, denn meistens fordern neue Bedürfnissverhältnisse uns auf, etwas in uns und unserem Leben zu verändern.
Immer noch (viel zu schnell) urteilen wir über Menschen, die sich erlauben ihre veränderten Bedürfnisse nicht zu ignorieren, und stattdessen ihr Ändern leben. Sie gelten als undankbar; sind die, die nie genug kriegen, befinden sich in der Mitlife – Crises oder gelten als Ich-bezogen. Diese Bewertungen lassen mich inzwischen aufhorchen und still und (noch) leise ergänze ich gedanklich: „..und vielleicht haben sich Bedürfnisse verändert“. Es schein als dürfe es Veränderung in uns nicht geben. Wie schade, denn sein Ändern leben ist wahrscheinlich eine der tollsten und mutigsten Dinge, die wir Menschen tun können, um immer mehr ICH zu werden.
Übungsanleitung für Bedürfnis-Erkunder und -Selbstversorger:
•Male dir die sechs Bedürfnistöpfe auf ein Blatt. Hinweis aus der Praxis: Gefühle und Bedürfnisse brauchen Raum und gehören deshlab unbedingt auf große Blätter (mindestens DIN A3) 🙂
•Kennzeichne mit einer Farbe wie gut gefüllt die einzelnen Töpfe sein müssen, damit du sie als „gut“ wahrnimmst.
•Kennzeichne mit einer anderen Farbe wie der aktuelle Füllstand der einzelnen Bedürfnisse ist.
•Was kannst du tun, um dort wo es notwendig ist, aufzufüllen oder abzulassen (Selbstversorger)?
•Schreibe auf dein Blatt das Datum. Wenn du magst mach die Übung in einem halben Jahr oder Jahr noch einmal… Bedürfnisse verändern sich…
© Katjenka Wild