Fast wäre ich nicht gefahren. Fast hätte ich nicht das Meer wieder gesehen, gerochen und berührt. Fast hätte ich nicht die Straßen Malmös erkundet. Hätte nicht eine innere Liste der Malmö-Lieblings-Kaffehäuser angelegt, und diese täglich angepasst. Ich wäre nicht über die Öresundbrücke (die weltweit längste Schrägseilbrücke) gefahren, und hätte nicht den Turning Torso (der zweithöchste Wolkenkratzer Skandinaviens und das vierthöchste Wohngebäude Europas) bestaunt. Ich hätte nicht den Kungsparken mit seinen Seen und Alleen und seinen gefühlt 100 Wegen erobert, und schließlich ganz ohne google maps den besten Weg zum Meer gefunden. Ich hätte nicht stundenlang im Kallbadhus gelesen, und dabei köstlichen Filterkaffee von der Wärmeplatte (liebe „Gilmore girls“-Grüße) getrunken.
Fast hätte ich nicht meinen ersten „Pumpkin spice Latte 2023“ in Malmö getrunken und Kanelbullar zu meiner neuen Lieblingssüßigkeit auserkoren (und das als überzeugte „würzig-Esserin“). Ich hätte nicht die Fika-Tradition kennengelernt und bewundernd beobachtet. Ich hätte nicht das allererste Mal „Kalles original“ professionell aus der Tube gedrückt und dann mit „fralla“ gegessen. Und ich hätte mich nicht getraut, mir zum Frühstück belgische Waffeln zu backen (ich kann viel – alles was Teig ist, kann ich nicht). Die Waffeln sind sogar sehr lecker geworden und ich hab sie mit Marmelade und Nutella gegessen. 🙂
Fast wäre ich nicht in Schweden gewesen. Weil es irgendwie nicht gepasst hat und die Vorstellung zu fahren, sich so falsch angefühlt hat. Weil so viel los war in den Tagen davor, so vieles noch dazwischen gekommen und nicht gelaufen ist, wie es sollte. Weil es sich angefühlt hat, als könne ich nicht weg, nicht „nicht Dasein“. Als gäbe es keinen unpassenderen Zeitpunkt, um zu verschwinden. Weil ich selbst nicht mehr daran geglaubt habe und die Vorfreude den Bedenken Platz gemacht hat.
Ich kenne dieses innere Hadern von mir. Das „sich schwer lösen können“ und sich auf „später mal“ vertrösten. Die Annahme nur gehen zu können, wenn alles läuft. Und ich vermute mal, dass ich nicht die einzige bin, für die es sich so anfühlt. In der Vorbereitung auf Malmö haben mir viele Menschen erzählt, dass sie für sich hoffen auch einmal etwas zu tun, dass sie schon immer einmal tun möchten – irgendwann. Aber aus allen möglichen Gründen passt es (noch) nicht: Zu früh, später, wenn die Zeit gekommen ist, wenn alles passt, irgendwann, wenn… dann…, in ein paar Jahren, mal sehen… vielleicht… Ich kenne das gut und denke auch oft so.
Irgendwann im Sommer 2022 habe ich mich gefragt, wann ich all die Dinge, die auf meiner „erinner-ich-mich-dran,-wenn-ich-als-alte-Frau-auf-einer- Parkbank-sitze-Liste“ machen will. Wann fange ich an, die Dinge, die auf diese Liste gehören, zu tun? Wann beginne ich diese Erinnerungen für die „alte-Katjenka“ zu erschaffen? Das war der Beginn meiner challenge-mit-mir-selbst. Ganz oben auf der Liste stand Amsterdam und war damit auch 2022 das allererste Reiseziel. Schon auf der Heimfahrt von Amsterdam zurück, habe ich mir versprochen, auch nächstes Jahr, der Liste für die „Alte-Katjenka“ einen neue Erinnerung hinzuzufügen – deshalb bin ich in Schweden.
Ich bin dankbar, dass ich nur „fast nicht“ in Schweden gewesen bin, und stattdessen nun in Malmö viele „erste Male“ erleben darf. Und ich kann die „alte-Katjenka“ (die mit der Parkbank-Erinnerung) schon jetzt zufrieden lächeln sehen… Tack 🙂
© Katjenka Wild