Erst diese Woche bin ich mit einigen Mitarbeitern mal wieder an dem Thema „Grenzen“, wie leicht und/oder schwer jedem von uns das Grenzen setzen fällt und welche Hintergründe es dafür geben könnte, hängen geblieben. Das Grenz-Thema ist aus meiner Erfahrung ein großes und lebensbegleitendes. Es entwickelt sich im Laufe unseres Lebens „mit uns“ und unserer persönlichen Entwicklung weiter, und passt sich unserem aktuellen inneren Ich-Wert an. Mit jeder Grenz-Abwägung stellen sich in uns (mindestens) diese Fragen: Wie nah bin ich mir selbst? Für wie liebens- und damit schützenswert halte ich mich? Bin ich bereit für mich einzustehen? Und für wen fühle ich mich (haupt-) verantwortlich? Viele von uns haben sich (immerhin) bis dahin innerlich vorgearbeitet, dass sie ihren Wert und auch ihre Selbst-Verantwortung mehr oder weniger intensiv spüren können und sich für sich selbst wünschen, diese auch im Außen durch Grenzen sichtbar zu machen. Soweit der Wunsch, die Sehnsucht und vielleicht auch die Einsicht in die Notwendigkeit Grenzen zu setzen.

Wirklich schwierig und hinderlich scheint es erst dann in der Grenz-Sache zu werden, wenn wir uns, in innerlicher Vorbereitung auf unsere bevorstehende Grenzsetzung, mit den möglichen Reaktionen und Konsequenzen durch unser Gegenüber beschäftigen. Immer wieder beschreiben mir Menschen, dass sie befürchten durch eine ausgesprochene Grenze, einen anderen Menschen zu verletzen oder zu enttäuschen. Sie möchten nicht, dass das Grenz-Gegenüber sich (wegen ihnen) schlecht oder abgelehnt fühlt. Dann vielleicht doch lieber gar keine Grenz-Aussprache oder nur eine unklare Grenzandeutung, die nicht Gefahr läuft, durch Klarheit zu verletzen.

Hinter dieser Befürchtung steht oft die Sehnsucht, der Grenz-Partner müsste die gesetzte Grenze für gut befinden. Erst durch die Zustimmung und Genehmigung des anderen sind meine Grenze und ich „okay“. Häufig führt diese Abhängigkeit einer Grenz-Freigabe von außen zu dem inneren Druck, sich mit Erklärungen und Begründungen rechtfertigen zu müssen. Dahinter steckt oft die „Idee“: Wenn ich nur lange und genau genug erkläre, versteht der andere mich und meine Grenzsetzung wird dadurch „in Ordnung“. Es ist der Kampf ums Verstanden werden und damit den Erhalt des (gefühlt) notwendigen inneren Grenz-Genehmigungsscheins.

Aber wofür eigentlich? Es ist meine Grenze – sie muss erst einmal nur für mich „richtig“ sein. Mein Gegenüber darf meine Grenze „doof“ und unverständlich finden. Der andere hat ein Recht auf seine eigenen Gedanken und Gefühle als Reaktion auf meine Grenzziehung. Es sind seine Gedanken, Gefühle und Bewertungen und diese haben vor allem etwas mit ihm und seinem Erfahrungshintergrund zu tun. Meine Grenze und ich sind nur der Anlass für unterschiedliche Grenz-Reaktionen (wie z.B. Enttäuschung und Vorwürfe), aber nicht für sie verantwortlich. Die Verantwortung hat die Person selbst. So wie ich alles Denken, Fühlen und begrenzen darf, darf es auch der andere. Es ist seins und es steht mir nicht zu, diese in meinem Sinne „bearbeiten“ zu wollen. Es ist für mich okay, dass meine Grenze im anderen etwas auslöst, was auch immer… Ich achte den Menschen, der mein Gegenüber ist, indem ich ihm nichts davon abspreche, aus- oder wegrede. Ich kann Verständnis zeigen für z.B. die Enttäuschung des anderen, ohne diese verstehen zu müssen und gleichzeitig ist und bleibt meine Grenze für mich genau „richtig“.

Meine Grenzsetzung ist damit unabhängig vom Verlauf und dem Ergebnis der Aussprache. Ein klärendes Gespräch und eine Grenzsetzung sind nicht (erst) dann „gut“ gelaufen, wenn diese vom anderen akzeptiert und befürwortet wird. „Gut gelaufen“ ist es, wenn ich das was mir wichtig und für mich notwendig war, ausgesprochen habe. Wenn ich (so gut es eben ging) für mich eingestanden bin und mich und meinen Wert positioniert und sichtbar gemacht habe, gerade dann wenn mir der Wind der anderen Meinung entgegen gekommen ist.

Lebt eure Grenzen und achtet dabei die Grenzreaktionen der anderen. Vielleicht ist das Ausdruck echter Selbstliebe und gelebter Menschenachtung. Ich wünsche uns echte Grenzerfahrungen miteinander!

© Katjenka Wild